BESITZ BELASTET. UNORDNUNG ERST RECHT!?
von Christoph Edenhauser & Markus Feistritzer
„Behalte nur, was Dir Freude macht. Besitze nur, was Du brauchst“ – folgt man der Empfehlung von Marie Kondo, würden hierzulande wohl nur wenige Menschen über Platzmangel in den eigenen vier Wänden und über gerammelt volle Kellerabteile klagen. Warum klar Schiff machen nicht nur für Ordnungsfanatiker erleichternd sein kann, welche Bedeutung „geordnete Verhältnisse“ aus psychischer Sicht haben können, das und weitere interessante Details zum Thema Aufräumen hält der heutige Blogbeitrag für Sie bereit.
DIE AUFRÄUMBERÜHMTHEIT MARIE KONDO
Schon als kleines Kind liebte das zierliche Mädchen Haushaltsmagazine und räumte lieber auf, als zu spielen. Jahre später begeistert die Japanerin Marie Kondo Millionen von Menschen für ihre Lieblingsbeschäftigung, einem eigentlich recht unspektakulär erscheinendem Thema. Der Erfolg kann sich jedoch sehen lassen: ihre Bücher sind Bestseller, sie gibt Google-Angestellten Tipps zum Ausmisten in einer bestimmten Reihenfolge, die von ihr entwickelte „KonMari-Methode“ hat sich zum trendigen Aufräum-Verfahren und zur praktischen Lebenshilfe entwickelt, „decluttering“ (das Entwirren des eigenen Besitzstandes) ist „in“ und „to kondo“ ist in den USA sogar ein gebräuchliches Verb etc. (Hugendick 2016: o.S.).
WER ORDNUNG HÄLT, IST NUR ZU FAUL ZUM SUCHEN
In einer Zeit, in der Messies als asozial und Wegschmeißer als Vorbilder gelten, hat Marie Kondo anscheinend nicht nur den Nerv von „Verzichtsperformern“ getroffen. Dass Ordnung als sexy gilt, hat z. B. auch ein schwedischer Möbelkonzern erkannt: In einem Werbespot von IKEA beschäftigt sich ein gutaussehender Jüngling zuerst mit der Ordnung in seinem Schlafzimmer, bevor er die erotische Versuchung auf seinem Bett wahrnimmt. „Pessimistische Geister könnten glauben, dass hier im Namen puritanischer Lustfeindlichkeit Aufbügeln und Zusammenfalten als Mittel empfohlen wird gegen das Chaos der Affekte. Oder ist Aufräumen einfach die neue Erotik? Der Spot jedenfalls passt in eine Zeit, in der Millionen Menschen angefangen haben, freiwillig ihre Socken zu falten. Und daran ist Marie Kondo schuld“ (Hugendick 2016: o.S.).
DIE GUTEN INS TÖPFCHEN, DIE SCHLECHTEN INS KRÖPFCHEN
Für Aschenputtel betraf dies die zu sortierenden Linsen, in unserem Falle sind dies Dinge des täglichen (Nicht-)Gebrauchs. „Marie Kondo rät, neben allerlei lebenspraktischen Weisheiten, vor allem, jeden Gegenstand in die Hand zu nehmen und sich zu fragen, ob er einem Freude bereitet. Wenn ja, darf er bleiben, wenn nicht, muss er weg. Das Profane wird heilig, allein dadurch, dass es bleiben darf“. Achtsamkeit und Berührung sollen helfen, Spaß an den Dingen zu finden. In ihren Ratgebern empfiehlt Kondo nicht nur das Loswerden von Ballast und das Wegwerfen von Erinnerungsgegenständen, es geht auch um den Zauber und die Magie der Dinge bzw. um ihre Rückverzauberung. „Kondo erzählt, wie sie sich bei ihren Schuhen bedankt, für die harte Arbeit, die sie täglich für sie leisten. Sie spricht mit ihren Socken, mit eigentlich allem, und rät den Lesern, es ihr gleichzutun. Die Beseelung der Dingwelt. Das ist ein hübscher Gedanke. Eine Kinderfantasie“ (Hugendick 2016: o.S.).
ORDNUNGSFANATIKER UND SCHLAMPERTATSCHE – EIN KLARER FALL FÜR DEN PSYCHO-DOC?
Für die meisten sei Putzen eine Verlegenheitstätigkeit, um einer anderen Arbeit zu entgehen. Bei vielen führe dies zu einer Art Scheingefügigkeit: man kehrt den Dreck manchmal lieber unter den Teppich, als ihn wegzumachen, getreu dem Motto „außen hui, innen pfui“ (Hausenblas 2018: o.S).
Beziehungen zwischen unordentlichen Menschen und Reinheitsfanatikern können durchaus funktionieren, es kommt dabei auf den Typus der Objektwahl an. Schon Sigmund Freud unterscheidet zwischen dem narzisstischen Typ („Gleich und gleich gesellt sich gern“) und dem Anlehnungstyp („Gegensätze ziehen sich an“), sagt der Psychiater August Ruhs in einem Interview (Hausenblas 2018: o.S.).
IST ORDNUNG WEIBLICH?
Der Psychoanalytiker Ruhs wehrt sich gegen allgemeine Aussagen über Menschen, weil sie meistens auf ungerechtfertigten Verallgemeinerungen basieren und in Klischees münden. „Es gibt feminine Männer und maskuline Frauen. Es gibt Hysteriker, Zwangsneurotiker, Depressive und Schizoide. Alle reagieren auf denselben Sachverhalt verschieden“, sagt er in einem Interview (die Details dazu finden Sie hier). Kochen sei „triebfreundlicher“ als Putzen, da durch die Nahrungszubereitung etwas zur Befriedigung eines Primärtriebes beigetragen wird (was beim Aufräumen weniger der Fall ist). Putzen sei demnach „triebfeindlicher“, heißt es in dem genannten Beitrag (Hausenblas 2018: o. S.).
Egal ob Sie zu jenen Menschen gehören, die nur saubermachen bevor die Putzfrau kommt oder Sie ohnehin regelmäßig den Staubwedel schwingen – wir wünschen jedenfalls eine ordentliche Portion Energie für die neue Arbeitswoche,
Markus Feistritzer & Christoph Edenhauser
VERZEICHNIS UND WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN:
Hugendick, David: Räum! Hier! Auf!, 2016, in: Zeit Online
Hausenblas, Michael: Psychiater August Ruhs: "Aufräumen ist triebfeindlicher als Kochen", 2018, in: derStandard Online
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